Wien, am 5. April 2012
Geschätzte Kolleg_innen und Freund_innen,
Aileen Derieg, Lina Dokuzović, Marcelo Expósito, Therese Kaufmann, Raimund Minichbauer, Radostina Patulova und Gerald Raunig sowie Jens Kastner und Tom Waibel!
Ich bin einer, der sich ins
Gespräch mengt, wenn im Grünkramladen Albernheiten über Jüd_innen
geredet werden. Und ich entziehe Antisemit_innen das Wort – wo immer ich
kann und mit allen Mitteln. Antisemit_innen geht es nicht um Diskussion
sondern um Agitation und zwar in hetzerischer Absicht. Jegliche Debatte
mit ihnen erübrigt sich, denn ihr Hass ist leidenschaftlich und bar
jeder Vernunft, ihre Behauptungen sind absurd und immun gegen Argumente.
Und obwohl ich davon überzeugt bin, dass solche Leute eigentlich kein jüdisches Problem sind, sondern das
vieler Anderer, so dulde ich schlicht und einfach keinen Antisemitismus. Punkt. Aus Selbstschutz und weil ich meinen Teil dazu beitragen möchte, Antisemit_innen spüren zu lassen, dass sie es mit Gegner_innen zu tun haben, die stark und schlau sind und viele starke und schlaue Freund_innen haben. Und wenn sie sich schon nicht sattfabulieren können an ihren unsäglichen Verschwörungstheorien, so möchte ich wenigstens einer jener sein, die sie sanft aber bestimmt in die von ihnen ach so gemütlich gemachten Bettchen drücken, um sie in den Genuss ihrer Wahnkonstrukte kommen zu lassen: auf dass sie sich bis in ihre Träume verfolgt fühlen, von uns, den Konspirateur_innen eines Widerstands, der sich jeglichen Feindseligkeiten gegen Jüd_innen kompromisslos widersetzt.
vieler Anderer, so dulde ich schlicht und einfach keinen Antisemitismus. Punkt. Aus Selbstschutz und weil ich meinen Teil dazu beitragen möchte, Antisemit_innen spüren zu lassen, dass sie es mit Gegner_innen zu tun haben, die stark und schlau sind und viele starke und schlaue Freund_innen haben. Und wenn sie sich schon nicht sattfabulieren können an ihren unsäglichen Verschwörungstheorien, so möchte ich wenigstens einer jener sein, die sie sanft aber bestimmt in die von ihnen ach so gemütlich gemachten Bettchen drücken, um sie in den Genuss ihrer Wahnkonstrukte kommen zu lassen: auf dass sie sich bis in ihre Träume verfolgt fühlen, von uns, den Konspirateur_innen eines Widerstands, der sich jeglichen Feindseligkeiten gegen Jüd_innen kompromisslos widersetzt.
Nun
wird im Windschatten des Kampfs gegen Antisemitismus einiger Unsinn
getrieben und dabei die Grenze der Erträglichkeit des Öfteren
überschritten – etwa wenn politische Kontrahent_innen zur Unterminierung
ihrer Positionen als „self-hating Jews“ diffamiert werden oder
philosemitische Kinder und Enkel der Täter_innen, aus ihrer
überidentifikatorischen Selbstgerechtigkeit heraus, wieder mal meinen,
einer Jüdin oder einem Juden das kritische Wort über Israel verbieten zu
müssen. Ohne Zweifel gibt es vielerlei angebrachte Kritik an
israelischer Politik und sogar mancherlei legitimen Antizionismus –
nicht nur, aber vor allem in innerjüdischen Diskursen. Allerdings muss uns
klar sein, dass Antisemitismus in unterschiedlichster Gestalt auftritt
und sich Israelkritik und Antizionismus zu politischen Feldern
ausgewachsen haben, in dessen vielfältigen Durcheinander das
antisemitische Gejeier die vernünftigen Stimmen zu übertönen droht.
Außerdem gibt es da auch noch die etwas schwerfälligeren Akteur_innen,
Schnarchnasen, die den Wandel ihres Metiers vom modernen zum neuen
Antisemitismus verschlafen haben und ihre Wahnkonstruktionen plump und
unverblümt, ohne die leiseste Anwandlung dessen, einen Genierer zu
kennen, zum Besten geben. All diese Sorten von Antisemit_innen finden
sich nicht nur in rechtsradikalen Parlamentsparteien, christlichen
Glaubensorden und islamistischen Bruderschaften, sondern auch in der
Linken und in so mancher ihrer verwandten Theoriediskurse. Da ich mich
als einen der diversen Teile dieser Linken betrachte und sie mir also
ein Anliegen ist, will ich das politische Feld nicht den Antisemit_innen
oder deren Apologet_innen überlassen, und auch nicht jenen, die sich
reflektiert und progressiv geben und dabei der Ansicht sind, sich
gegenüber Erstgenannten nicht positionieren zu müssen.
Konkreter
Anlass für die Veröffentlichung dieses offenen Briefs ist die Ignoranz
und Bagatellisierung der antisemitischen Konstrukte des post-kolonialen
Theoretikers Walter D. Mignolo, in den jüngsten Publikationen einiger
Freund_innen und Kolleg_innen. Seine Absurditäten im Detail zu
kommentieren, wird hier ausbleiben, der Text „Dispensable and Bare
Lives“ ist im Internet ebenso leicht zu finden wie die Antisemitismen
darin, insbesondere, wenn die Lektüre von hinten angegangen wird.
Vielmehr will ich einige Fragen an Euch richten, die Ihr Mignolos Texte
publiziert, während Ihr seinen Antisemitismus fußnotisiert (wie in der
Einleitung zu dem soeben bei Turia und Kant erschienen Buch Mignolos mit
dem Titel „Epistemischer Ungehorsam“) oder überhaupt gleich verschweigt
(wie in der aktuellen Ausgabe des transversal-Webjournals
vom European Institute For Progressive Cultural Policies). Zumal Ihr
vor der Veröffentlichung Eurer Publikationen sowohl von den
antisemitischen Ansichten des Autors wusstest, als auch von den
Auseinandersetzungen die in Eurem Umfeld um diese geführt wurden, gehe
ich davon aus, dass ihr eingehend diskutiert habt, welche Implikationen
sich daraus für eure Arbeit ergeben.
*
Was
waren die Gründe Eurer Entscheidung, den Antisemitismus des Walter
Mignolo zu verschweigen bzw. zu fußnotisieren? Fürchtet Ihr nicht, den
postkolonialen Theorien und Kritiken dadurch mehr zu schaden als zu
nutzen?
*
Ihr
scheint Antisemitismus als politische Kategorie nicht Ernst zu nehmen.
Wie kommt es dazu? Seid Ihr der Meinung, dass die Theorieproduktion von
Antisemit_innen abgekoppelt von ihrem Antisemitismus betrachtet werden
muss?
*
Angesichts
des historischen Raums, in dem Ihr publiziert, stellt sich die Frage,
inwieweit Ihr euch mit der Geschichte und Bedeutung des Bagatellisierens
oder Ignorierens von Antisemitismus auseinandergesetzt habt. Habt Ihr
bedacht, an welche lokalen Konzepte und Figuren Ihr mit der Politik des
aktiven Verschweigens und Verharmlosens anknüpft?
Ich bin mirdes
Unterschieds zwischen einer halben Fußnote und KEINER halben Fußnote
bewusst. Als angemessene Form des Umgangs mit Antisemitismus erachte ich
aber weder das eine noch das andere. Dementsprechend gespannt bin ich
auf Eure Antworten.
Beste Grüße,
Edi Freudmann
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